Diskurs vor Linientreue – das ist Christiane Florins Richtline. Für die einen ist die ehemalige Leiterin der „Zeit“-Beilage „Christ&Welt“ deswegen „unkatholisch“, für die anderen die profilierteste Religionsjournalistin Deutschlands. Eine Begegnung.
Von Agata Wojcieszak (Volontärin 2013)
„Ich misstraue jedem, der von sich meint, die Wahrheit und die Katholizität für sich gepachtet zu haben“, sagt Christiane Florin. Vor acht Jahren spezialisierte sich die Journalistin auf das Thema Religion. Seitdem zwingt sie vor allem die katholische Kirche, sich auch mit unbequemen Fragen zu beschäftigen. In „Christ&Welt“ ließ sie ihren damaligen ifp-Volontär und heutigen stellvertretenden Redaktionsleiter Hannes Leitlein einen Kommentar Pro-Abtreibung schreiben.
Die Definition von Meinungsfreiheit sei nicht, dass man alles schreiben und veröffentlichen müsse, sagt Florin. „Meines Erachtens geht es aber darum, dass ein Thema gesellschaftlich relevant ist.“ Der Schwangerschaftsabbruch sei ein solches Thema – für die Bundesrepublik genauso wie für die katholische Kirche, die daran nicht selten den Maßstab fürs Christ-sein anlege. „Christliches Verhalten wird nicht dadurch definiert, dass man sich nicht die Finger schmutzig macht“, sagt die 50-Jährige. Zuletzt erregte Florin mit ihrem Buch „Weiberaufstand“ Aufmerksamkeit, in dem sie der Frage nach der Ordination von Frauen nachgeht. Ein Bericht des BR zum Thema:
Sie spürt Resignation in den Gemeinden
Dabei hatte alles so harmlos angefangen: In den 1980er-Jahren wächst Christiane Florin im nordrhein-westfälischen Mondorf auf, engagiert sich über die Jugendarbeit für die Kirche. „Damals wehte ein anderer Wind“, erinnert sich Florin. „Die Kirche schien sich zu verändern – in Bezug auf die Rolle der Frau genauso wie die Einstellung zur Sexualität und Homosexualität.“
Heute beschreibt sich Florin als damals „völlig naiv“. Statt Reformen sei eher das Gegenteil passiert, auch wenn sich mit Papst Franziskus nun etwas verändere. Das Problem: Viele Kirchenmitglieder hätten resigniert, andere – darunter viele Frauen – würden sich einfach abwenden. „Junge Frauen sehen nicht mehr ein, warum sie einer Institution anhängen sollen, die ihnen aufgrund des Geschlechts keine Chance auf die höchsten Ämter gewährt“, erklärt Florin. „Das ist nichts anderes als Diskriminierung.“
Schüchtern, beharrlich, promoviert
Schüchternheit würde man bei einer Person, die so etwas öffentlich sagt, wohl nicht vermuten. „Aber es stimmt: Am Anfang meiner Laufbahn fiel es mir wahnsinnig schwer, auf fremde Menschen zuzugehen und ihnen Fragen zu stellen“, sagt sie. Manche rieten ihr deswegen von ihrem Berufswunsch Journalismus ab. Den hat die zierliche Frau mit den dunklen langen Haaren und den braunen Augen schon früh entwickelt, genauso wie ihre Beharrlichkeit. Nach dem Studium der Politik- und Musikwissenschaften promoviert sie und arbeitet nebenbei bei der Pressestelle der Europäischen Kommission.
Doch Florin will zum „Rheinischen Merkur“, einer christlich-konservativen Wochenzeitung, die unter anderem durch die Bischofskonferenz finanziert wird. Das Volontariat läuft in Kooperation mit dem ifp, wo sich die damals 28-Jährige erfolgreich bewirbt. Kirchen- und Religionsthemen spielen zu Beginn ihrer journalistischen Karriere keine Rolle. Nach dem Volontariat bleibt sie beim „Intelligenzblatt“, wie der „Rheinischen Merkur“ gern genannt wird. Florin arbeitet im Kulturressort und übernimmt dessen Leitung, bis die Bischofskonferenz die Zeitung 2010 einstampft. Was nun?
„Christ&Welt“ ward geboren und damit eine neue Perspektive für die damals 43-Jährige: Sie soll die Publikation leiten. „Ich habe mich ernsthaft gefragt, ob ich es schaffen würde, mir diesen für mich absolut neuen Themenbereich zu erschließen“, erzählt Florin. Schließlich kommt sie zu dem Schluss: Es ist ein journalistisches Thema wie jedes andere auch.
Anerkennung und Shitstorm: Florin kennt beides
„Christ&Welt“ war eine Herausforderung, schließlich hatte es zuvor keine vergleichbare Kooperation in Deutschland gegeben: Die Zeitung erscheint als sechsseitige Beilage der renommierten Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Redaktion arbeitet im Katholischen Medienhaus in Bonn. Das neue Team ist deutlich kleiner als zuvor beim Rheinischen Merkur: Waren es einst 20 Mitarbeiter, sind es jetzt sechs Redakteure. „Uns war von Anfang an klar, dass wir uns als Redaktion profilieren mussten“, erinnert sich Florin. Erreichen wollen sie das über gut recherchierte und stilistisch ansprechende Geschichten. Tatsächlich macht „Christ&Welt“ schnell von sich reden – auch jenseits der Kirchenszene. Das zunächst auf ein Jahr befristete Projekt wird verlängert. Währenddessen setzt die Redaktion Themen, kritisiert Papst Benedikt XVI. und zeigt nicht nur die Glanzseiten der Institution Kirche.
Einen Höhepunkt stellt Ende 2014 die Weigerung Florins dar, eine Anzeige für einen Kongress von „Kirche in Not“ zu drucken. Das in 130 Ländern aktive katholische Hilfswerk untersteht direkt dem Vatikan und hilft nach eigenen Angaben verfolgten, bedrängten und notleidenden Christen. Kritiker aber sehen einen rechten Einschlag, den auch Florin aus der Anzeige heraus liest. Konkret geht es um eine Veranstaltung unter dem Titel „Gegen den Strom von Meinungsdiktatur und Political Correctness“.
Ein Shitstorm bricht über die Redaktionsleiterin herein. „In so einer Situation zeigt sich recht schnell, wer zu einem steht und wer anfängt zu taktieren.“ Damit meint sie nicht, dass man ihr hätte zustimmen müssen. „Aber öffentlich zu sagen, dass die Reaktionen nicht in Ordnung waren, das hätte ich mir schon gewünscht.“ Mutig sei sie nicht, meint Florin, sie nutze einfach die Möglichkeit, Debatten anzustoßen. Das sei doch selbstverständlich. Andererseits räumt sie ein, dass nicht viele konservative und vor allem kirchliche Medien offene Diskussionen zuließen.
Sie wechselt das Medium, nicht das Thema
In manchen Kirchenzirkeln gilt die Journalistin mitunter als selbstbezogen und zänkisch. 2014 soll Bischof Rudolf Voderholzer versucht haben, zu verhindern, dass Florin eine Veranstaltung auf dem Kirchentag in Regensburg moderiert. Daraufhin fragt sie in einem Leitartikel: Wieso darf ein Bischof darüber bestimmen, wer auf einer Laienveranstaltung spricht? Am Ende moderiert sie doch.
Streitlustig und kämpferisch – das sei sie berufsbedingt geworden, sagt Florin. Es gehe um den Ansporn, bessere Argumente zu finden und dabei trotzdem Wertschätzung für den anderen zu entwickeln. „Streitkultur“ heißt folgerichtig auch die Sendung, die sie beim Deutschlandfunk mitentwickelt. Hierhin wechselt sie Anfang 2016 als Redakteurin für „Religion und Gesellschaft“ – ein Jahr bevor „Christ&Welt“ sich vom katholischen Medienhaus trennt und als Tochterfirma des „Zeit“-Verlages nach Berlin zieht. „Mein Jobwechsel hatte nichts mit dem Umzug zu tun“, sagt sie. „Für mich war es mit Ende 40 eine Herausforderung, ein neues Medium auszuprobieren.“ Dem Religionsjournalismus bleibt sie treu, genauso wie der Kirche. Auszutreten sei für sie keine Option, dafür sei die Bindung zu sentimental. „Und eigentlich“, sinniert sie, „hat mir erst dieser Themenbereich meine Stimme als Journalistin gegeben“. Scharf, ironisch, bisweilen polemisch. Und wenn sie damit aneckt? „Dann“, antwortet sie, „ist das eben so“.
Titelbild: Sabine Barth